Hightech-Verbände fordern nationale Bildungsoffensive

In der deutschen Wirtschaft gibt es aktuell rund 150.000 offene Stellen für Ingenieure, Informatiker und Naturwissenschaftler. Das geht aus einer Umfrage unter rund 1500 Unternehmen hervor, die der Hightech-Verband BITKOM und der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) heute in Berlin vorgestellt haben. Danach sucht fast die Hälfte aller Unternehmen Mitarbeiter mit technischen Qualifikationen. „Nur ein Bruchteil der offenen Stellen kann tatsächlich besetzt werden“, sagte VDI-Präsident Prof. Bruno O. Braun. „Wir verlieren Milliarden an Wertschöpfung, weil wir uns in Deutschland nicht um die richtige, also marktgerechte Qualifikation des Nachwuchses kümmern.“ Vor dem Hintergrund des Fachkräfte- und Akademikermangels forderten die Vertreter der Hightech-Industrie eine nationale Bildungsoffensive. Als Beitrag zum Bildungsgipfel legten BITKOM und VDI ein 5-Punkte-Programm für die technische Bildung vor. „Das Bildungssystem ist heute nicht in der Lage, den Bedarf der Hightech-Industrie an hoch qualifizierten Fachkräften zu decken“, sagte BITKOM-Präsident Prof. August-Wilhelm Scheer. „Die abflauende Konjunktur infolge der Finanzkrise wird den Expertenmangel kaum abschwächen, da er strukturelle Ursachen hat.“

Kern des 5-Punkte-Programms ist eine Erhöhung der Bildungsausgaben um rund 25 Milliarden Euro pro Jahr. Weitere Forderungen sind die Einführung von Technik- und Informatikunterricht als Pflichtfach in den Schulen, ein Stipendien-Programm für technische Studiengänge sowie der Aufbau eines Weiterbildungssystems an den Hochschulen. Für eine bessere Koordinierung der Bildungspolitik von Bund und Ländern mit der Wirtschaft schlagen beide Verbände die Einberufung eines Nationalen Technik-Rates vor. „Beim Bildungsgipfel ist die Wirtschaft nicht vertreten“, sagte Scheer. „Wenn wir einen Durchbruch bei der Gestaltung einer zukunftsorientierten Bildungspolitik erzielen wollen, müssen die Vorschläge der Wirtschaft gehört werden.“

Bildungsausgaben um 25 Milliarden Euro erhöhen
Mit einem Anteil der Bildungsausgaben in Höhe von 5,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt Deutschland im internationalen Vergleich der Industrienationen weit hinten. Der Durchschnitt der OECD-Länder beträgt 5,8 Prozent vom BIP. Noch schlechter ist die Position Deutschlands bei den öffentlichen Bildungsausgaben, die mit einem BIP-Anteil von 4,2 Prozent weit hinter dem OECD-Durchschnitt von 5,0 Prozent liegen. „Besonders alarmierend ist der negative Trend“, sagte Scheer. „Während viele andere Industrieländer ihre Bildungsausgaben im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftsleistung beständig erhöht haben, sinken sie in Deutschland seit Jahren.“ Daher müsse der Anteil der Bildungsausgaben am BIP um einen Prozentpunkt auf 6,1 Prozent ansteigen. Das entspricht zusätzlichen Investitionen von rund 25 Milliarden Euro pro Jahr. Die zusätzlichen Mittel sollen allen Stufen des Bildungssystems von der frühkindlichen Bildung über die Schulen und Hochschulen bis zur Weiterbildung zugute kommen.

Technik und Informatik als Pflichtfach in den Schulen einführen
Lediglich Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt bieten das Unterrichtsfach Technik an. Die Berufswahl von Schülerinnen und Schülern wird aber stark durch die Erfahrungen mit einzelnen Unterrichtsfächern beeinflusst. „Wenn Technik in der Schule nicht stattfindet, ist auch das Berufsbild weniger gefragt“, sagte Braun. Durchgehender Technik- und Informatikunterricht müsse daher zum Pflichtfach in der Grundschule und der Sekundarstufe I werden sowie verbindlich zum Kursangebot in der Oberstufe gehören. Die Unterrichtszeit in den Fächern Technik, Informatik, Mathematik und Naturwissenschaften sollte auf mindestens ein Drittel des gesamten Stundenvolumens ausgedehnt werden.

Stipendien für technische Disziplinen vergeben
BITKOM und VDI schlagen den Aufbau eines nationalen Stipendien-Systems für MINT-Fächer vor. Bund und Länder richten demnach einen Fonds ein, der jährlich für 10.000 Studienanfänger einen Zuschuss von je 1.000 Euro pro Monat ermöglicht. Die Stipendien sollen je zur Hälfte nach Leistung und nach sozialen Kriterien vergeben werden. „Deutschland fehlt eine Stipendien-Kultur“, sagte Braun. Damit bleibe ein wichtiges Instrument in der Bildungspolitik ungenutzt. „Wir müssen gezielt Anreize für technische und naturwissenschaftliche Bildung setzen.“ Eine staatliche Förderung habe milliardenschwere positive Wachstumseffekte zu Folge, die allen Menschen zugute kommen.

Hochschulen für die Weiterbildung öffnen
In einem offenen Bildungssystem sollte das Können eines Menschen entscheidend sein. Auch Meister, Techniker oder andere Spezialisten müssen Zugang zu den Hochschulen erhalten und sich vorhandene Kenntnisse anrechnen lassen können. Zudem sind für die Bachelor-Absolventen mehr berufsbegleitende Weiterbildungsangebote jenseits der gängigen Master-Studiengänge notwendig. Scheer: „Die Hochschulen müssen konsequent zu Weiterbildungseinrichtungen ausgebaut werden.“ Der künftige „Nationale Qualifikationsrahmen“ müsse diese Vorgaben berücksichtigen.

Nationalen Technik-Rat berufen
Bisher mangelt es an einer Koordination von Bund und Ländern in der Bildungspolitik sowie an einer ausreichenden Beteiligung der Wirtschaft. Die Einberufung eines nationalen Technik-Rates, der im Bundeskanzleramt angesiedelt ist, könnte die Beteiligten an einen Tisch bringen. Braun: „Ein nationaler Technik-Rat, den der VDI schon seit einiger Zeit fordert, könnte diese Aufgabe erfüllen und der Abstimmung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu Fragen der technischen Bildung einen institutionellen Rahmen geben.“

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