Was ist Industrial DevOps?

Digitale Transformation in der Produktion

Die Digitale Transformation ist kein Hype, der vorübergeht, sondern die konsequente Anpassung an eine veränderte Situation. Selbst in Märkten, die bisher als unangreifbar galten, müssen sich die etablierten Unternehmen neuen Mitbewerbern stellen, die scheinbar aus dem Nichts auftauchen.

Die von Unternehmen gesteuerte Werbung ist nicht mehr die einzige Informationsquelle, die Kunden zur Verfügung steht. Selbstbewusst werden im Netz Bewertungen geteilt und Foren genutzt, um sich eine Meinung vom Wert und der Qualität eines Produkts oder einer Dienstleistung zu bilden.

Was heute für Kunden noch interessant ist, kann morgen bereits Schnee von gestern sein. Startups sind in der Lage, Digitale Geschäftsmodelle mit einem Bruchteil der Ressourcen umzusetzen, die noch vor wenigen Jahren erforderlich waren. Unternehmen mit digitalen Dienstleistungen wie Amazon, Netflix, Otto.de und viele andere haben gelernt, mit der neuen Welt umzugehen und sie als Chance zu nutzen. DevOps steht dabei als Oberbegriff für Technologien, Methoden, Werte und Prinzipien, die diesen Unternehmen helfen, schnell und zielsicher auf Veränderung zu reagieren.

Wie können diese Erfahrungen der Digitalunternehmen übertragen werden auf Unternehmen, die für ihre Wertschöpfung physikalische Maschinen und Produktionsanlagen nutzen?

Das Ziel

„Never touch a running system!” – Wenn es erstmal läuft, möglichst nichts mehr verändern, ist ein Credo, das wir besser zurück ins 20. Jahrhundert schicken und vergessen. Schnelle Reaktionen auf neue Anforderungen sind nur möglich, wenn die Veränderung zur Norm wird.

Wie produzierte und eingelagerte, unfertige Teile sind neue Systemfunktionen, die zwar entwickelt sind, aber nicht genutzt werden, gebundenes Kapital, das keinen Gewinn bringt oder einen anderen Mehrwert schafft. Kurzfristige Markchancen werden möglicherweise nicht genutzt.

Das Ziel von DevOps ist deshalb die kontinuierliche Auslieferung neuer Softwareversionen (continuous delivery = CD) in die Produktion. Dabei sind mehrere Aktualisierungen täglich denkbar und machbar. Sogar Aktualisierungen in der laufenden Produktion sind heute technisch umsetzbar, sicher und nutzenbringend.

CALMS: Das Fundament für den Erfolg

Bei all der Flexibilität von Software, stellt die ständige Veränderung eines komplexen Systems hohe Anforderungen an die Qualität der Umsetzung. Damit das gelingt, prägte die DevOps Community das Akronym CALMS (Abbildung) und beschreibt damit die Grundpfeiler für den Erfolg.

In vielen Artikeln und Veröffentlichungen zum Thema Digitale Transformation wird deutlich, wie wichtig die Unternehmenskultur ist. Digitale Unternehmen stellten bereits fest, dass ohne eine passende Kultur DevOps nur Theater ohne Effekt ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Standardisierung und Automatisierung komplexer Arbeitsabläufe sind für eine reproduzierbare Qualität unerlässlich. Manuelle Arbeitsschritte sind langsam und fehleranfällig. Während Industrie 4.0 die Automatisierung und Flexibilisierung durch Maschinen in der Produktion adressierte, steht bei Industrial DevOps die wachsende Integration digitaler Systeme über Abteilungs- und Unternehmensgrenzen hinweg im Mittelpunkt.

Komplexe Softwareprojekte sind teuer. Digitale Unternehmen haben jedoch lange Entscheidungswege und teilweise unnötigen administrativen Aufwand als mögliche Ursachen dafür identifiziert.

So wurde das L eingefügt, um die Rolle der Lean Prinzipien und Methoden in DevOps zu unterstreichen. Lean stammt aus dem Toyota Production System (TPS) und soll unter anderem erreichen, wertschöpfende Arbeitsschritte zu stärken und Arbeiten, die keinen Wert liefern (Waste), zu reduzieren. Hier schließt sich interessanterweise der Kreis, denn Lean ist in der Industrie seit langem bekannt und wird erfolgreich angewendet.

Metriken, Messen und Monitoren

Das M für Messungen oder auch alternativ für Monitoring bildet die Grundlage der Analyse, Optimierung und Validierung des Gesamtsystems. Je besser die Messungen, desto schneller können Engstellen, Probleme aber auch Chancen und Potentiale erkannt werden.

In digitalen Unternehmen zeigen Dashboards zu jeder Zeit den aktuellen Zustand des Systems. Wird ein System zum Beispiel durch ein Softwareupdate verändert oder Server, Netzwerk und andere IT-Infrastruktur funktionieren nicht mehr korrekt, so kann das Problem schnell erkannt, analysiert und (vielleicht sogar automatisch) behoben werden.

In produzierenden Unternehmen helfen Maschinendaten zusätzlich, nötige Wartung zu erkennen und so Ausfälle zu vermeiden (Predictive Maintenance). Messungen helfen, Fehler schnell zu erkennen und zu beheben. So werden die Auswirkungen von Fehlern reduziert und gleichartige Fehler zukünftig vermeidbar.

Informationen teilen

Zentral erfasste Daten stehen allen Beteiligten in Echtzeit zur Verfügung. Das stellt die Grundlage für das S, dem Sharing, dar. Technische Systeme verändern sich in der Regel nicht von allein (zumindest nicht zum Besseren). Dazu bedarf es der Kreativität und der Erfahrung von Menschen, die mit dem System arbeiten und ihr Fachwissen einbringen. Teamarbeit und ein gemeinsames Verständnis für die aktuelle Situation, sowie für die Anforderungen erfordert Transparenz und niedrige Hürden, die benötigten Informationen zu erhalten und zu verstehen.

Industrial DevOps

Viele der bereits erprobten DevOps Werkzeuge und Methoden helfen Softwareaktualisierungen routinemäßig in die Produktion zu bringen. Die enge Verflechtung von Software und physikalischen Maschinen bringt jedoch neue Herausforderung mit sich.

Wenn Maschinen, Sensoren und Aktoren durch Software verbunden werden, entstehen Cyber-Physikalische Systeme. Die Abbildung zeigt, wie Geschäftsfunktionen, Softwareentwicklung, Softwarebetrieb und Produktion im Unternehmen kontinuierlich und transparent zusammenarbeiten.

Digitale Unternehmen haben gelernt, Herausforderungen ganzheitlich anzugehen. Die Erweiterung BizDevOps, also die Einbeziehung der Geschäftsfunktionen (Biz) oder DevOpsSec, die unterstreicht, wie wichtig IT-Security ist, sind logische Weiterentwicklungen. Industrial DevOps schließt nun die Lücke zwischen der virtuellen Welt der Software und der physikalischen Welt der Maschinen, Sensoren und Aktoren.

Unter anderem werden dafür Wissensbereiche wie das Internet of Things (IoT), Fog Computing, Smart Manufactoring sowie Entwicklung und Test von Embedded Software unter dem Oberbegriff Industrial DevOps in einem neuen Licht betrachtet. Auch für die Konstruktion von Produktionsanlagen und Maschinen ergeben sich interessante Aspekte. DevOps bringt zusätzlich unter anderem Themen wie Lean, Agile, Systems Thinking und natürlich auch Künstliche Intelligenz als wichtiges Werkzeug mit.

Hardware auf „Vorrat“

Bei Neuinvestitionen sind die Kosten für Maschinen und Sensoren im Verhältnis zur Softwareentwicklung gesunken. Die rein physikalische Vernetzung von z.B. Sensoren ist heute ohne großen Aufwand machbar. Wieso also nicht mehr einbauen als aktuell nötig und mit Hilfe von Software nach und nach das System verbessern, erweitern und an neue Herausforderungen anpassen?

Auch Maschinenhersteller können bei der Entwicklung darauf verzichten, jede nur denkbare Funktion in ihrer Firmware umzusetzen und stattdessen Hardware auf Vorrat einbauen und die Software je nach Bedarf anpassen.

So können Kunden neue Funktionen erhalten, wenn sie benötigt werden. Für die Auslieferung ist dann lediglich ein Softwareupdate nötig. Auch Telemetriedaten können so verfeinert werden und helfen, die Maschine immer weiter zu verbessern. Die Auswertung der Telemetrie ist ein zusätzlicher möglicher Vorteil für Kunden.

Es gibt zu wenig Programmierer

Müssen jetzt alle Unternehmen Softwareabteilungen aufbauen, die ein Heer von Programmierern beschäftigen? Große Unternehmen gehen genau diesen Weg und entwickeln individuelle Software für das Kerngeschäft selbst. Auch Startups erarbeiten sich mit eigenen Softwarelösungen ihren Platz im Markt.

Wenn jedoch alle Unternehmen beginnen, Softwareabteilungen aufzubauen, werden geeignete Bewerberinnen und Bewerber knapp und damit teuer. Die Auswirkungen sind bereits jetzt deutlich zu erkennen. Es ist zu erwarten, dass die Kosten für qualifiziertes Personal in den nächsten Jahren weiter steigen. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen können dann möglicherweise bei der Digitalisierung abgehängt werden.

Analysten wie Gartner sehen in LowCode und NoCode Programmierung eine Möglichkeit, diesem Trend zu begegnen. Fachkräfte ohne Programmierkenntnisse sind damit in der Lage, einen großen Teil der täglichen Anforderungen selbst umzusetzen. Besonders die Übersetzung von Datenformaten und die Verbindung von Systemkomponenten sollte im täglichen Geschäft routinemäßig zu leisten sein.

Die nötigen Softwarekomponenten werden von Herstellern der Hardware geliefert oder von Dienstleistern entwickelt. Eine Plattform liefert Lösungen für Standardaufgaben. Die Entwicklung von Komponenten wird damit vereinfacht und so schneller und günstiger.

Digitale Souveränität

Bei der Auswahl einer geeigneten Plattform oder Anwendung sollte die eigene Digitale Souveränität an erster Stelle stehen. Es ist schließlich das Kerngeschäft, um das es geht. Mit der Zeit entstehen umfangreiche Systeme. Die LowCode/NoCode Anwendung ist dabei der „Leim“ der die Komponenten des Systems miteinander verbindet. Hier entsteht leicht eine Abhängigkeit vom Softwareanbieter, die zum Problem werden kann, wenn sich zum Beispiel Firmenpolitik oder Lizenzbedingungen ändern.

Besonders mittelständische Unternehmen stoßen möglicherweise bei großen Herstellern auf Schwierigkeiten, die eigenen Anforderungen durchzusetzen. Quelloffene Lizenzmodelle bieten eine gute Alternative zum „Do It Yourself“ (DIY). Der Kontakt zur Community und die aktive Beteiligung hilft das Projekt im eigenen Sinn zu beeinflussen. Das erfordert Aufwand und Einsatz, der sich jedoch schnell auszahlt.

Digitale Transformation? Ja, bitte!

Wie DevOps ist auch Industrial DevOps nicht das Ziel, sondern der Weg. Unternehmen sind gefordert, sich dem Tempo der Marktveränderung anzupassen. Kontrolliert Fehler machen und daraus lernen, gehört ebenso dazu wie eine schonungslos realistische Wahrnehmung der inneren und äußeren Situation des eigenen Unternehmens. In einer komplexer werdenden Welt sind richtige Antworten schwer zu finden. Was für den einen richtig ist, kann für den anderen falsch sein.

Software liefert die nötigen Freiheitsgrade, schafft Verbindungen, wo Verbindungen nötig sind, und lässt sich schnell an neue Herausforderungen anpassen.

Für Entscheider ist es wichtig, langfristige Ziele zu haben und diese nicht aus den Augen zu verlieren. Der Weg zum Ziel ist dabei keine gut durchgeplante Autobahn, sondern gleicht eher einer Expedition in unbekanntes Gebiet. Hier gibt es Überraschungen und Umwege aber auch Chancen, die erst offensichtlich werden, wenn bereits ein Stück des Weges zurückgelegt ist.

Digitale Unternehmen haben bereits gelernt, mit komplexen Systemen und Herausforderungen umzugehen und ihnen mit Software zu begegnen.

Industrial DevOps soll dazu inspirieren, über den Tellerrand zu schauen und die Leistungsfähigkeit moderner, verteilter IT-Systeme in produzierenden Unternehmen zu nutzen, Mehrwerte durch Software zu schaffen und Veränderung als Chance zu sehen.

Links

Digital transformation: online guide to digital business transformation; https://www.i-scoop.eu/digital-transformation/

Russell L. Ackoff; https://en.wikipedia.org/wiki/Russell_L._Ackoff

If Russ Ackoff had given a TED Talk…; https://youtu.be/OqEeIG8aPPk

What is BizDevOps?; https://enterprisersproject.com/article/2019/9/devops-what-is-bizdevops

Applying DevOps and Continuous Delivery to Significant Cyber-Physical Systems; https://itrevolution.com/book/industrial-devops/

Industrial DevOps; https://www.researchgate.net/publication/333062727_Industrial_DevOps

Was ist Embedded Software?; https://www.dev-insider.de/was-ist-embedded-software-a-579399/

Fog computing: decentralized approach for IoT clouds; https://www.ionos.com/digitalguide/server/know-how/fog-computing/

Why Smart Manufacturing?; https://spectrum.ieee.org/consumer-electronics/standards/why-smart-manufacturing

Weitere Referenzen

Erfolgreiches Management von Instabilität; Peter Kruse; GABAL Verlag GmbH

Lean Enterprise; Humble, Molesky, O’Reilly; 2014 O’Reilly Media, Inc.

 

Der Autor

Maik Wojcieszak ist Gründer der getNext IT. Gleichzeitig ist er auch CEO und Gründer der wobe-team GmbH und wobe-sytems GmbH, zwei Softwareentwicklungsunternehmen zur Automatisierung von industriellen Produktionssystemen. Zudem betreut er als Technischer Leiter das Forschungsprojekt titan. Er ist damit der Spezialist für die technische Seite von Automatisierung und Digitalisierung. Zusätzlich hat Maik als erfahrener Projektmanager und Product Owner unzählige Prozesse in Unternehmen auf den Prüfstand gestellt und optimiert. Ganz besonders das Anforderungsmanagement liegt ihm am Herzen. Agile Arbeitsweisen, DevOps und Lean Thinking sind für ihn essentiell auf dem Weg zum Erfolg. Das Thema Innovation erachtet Maik als sehr wichtig, um gerade auch KMUs in der Zukunft wettbewerbsfähig zu halten.

 

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