Warum wir in Lübeck ein KI-Med-Ökosystem bauen - und warum Sie dabei sein sollten!
Der Norden Deutschlands hat sich gemeinsam aufgemacht, um Ansätze und Lösungen der Künstlichen Intelligenz in die Produkte und Dienstleistungen einer seiner wichtigsten Branchen einzuführen, dem Gesundheitswesen. Medizin, Medizintechnik, Pflege, eHealth, Krankenhausmanagement etc. können enorm von den neuen und mit Macht aufkommenden Technologien profitieren. Das von mehr als 20 Partnern aus Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein getragene Projekt KI-SIGS, eines von 16 Gewinner-Projekten der ersten Runde des Bundeswettbewerbs "KI als Treiber für volkswirtschaftlich relevante Ökosysteme" bildet dabei eine extrem wichtige und auch finanziell sehr gut ausgestattete Grundlage. Aus seiner Führungsrolle bei KI-SIGS heraus hat sich Lübeck mittlerweile zu einem norddeutschen Zentrum der KI-Entwicklung für das Gesundheitswesen entwickelt. In diesem Artikel beschreiben wir, wie aus dieser Keimzelle ein "KI-Med-Ökosystem" entstehen soll und wie sich Partner der Region daran beteiligen können.
KI im norddeutschen Gesundheitswesen
Die Gestaltung des mit der Digitalisierung einhergehenden Strukturwandels von Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Gesellschaft und das Heben der mit KI-Technologien verbundenen Potenziale stellt gerade für die Gesundheitswirtschaft in Deutschland in ihrer traditionell stark mittelständisch geprägten Struktur bei gleichzeitig internationalem Marktwettbewerb eine große Herausforderung dar. Diese Herausforderung wird durch drei bestimmende technologische Entwicklungen der letzten fünf Jahre geprägt: dem großen Fortschritt beim maschinellen Lernen, dem rasanten Anstieg der Datenmengen und der massiven Steigerung der verfügbaren Rechenleistung. Zusammengenommen führen diese drei Entwicklungen zum Durchbruch der KI und zu Sprunginnovationen in unserer vernetzten Gesellschaft — nicht nur, aber auch und besonders im Gesundheitssektor, was wiederum zu einem erheblichen Innovationsdruck für die Branche führt.
Erste KI-Anwendungen lassen erkennen, dass ihr Nutzen, beginnend mit einem besseren Verständnis von Krankheitsmechanismen über optimierte Diagnostik und Therapie mit Effizienzsteigerung der medizinischen Versorgung, in Kombination mit dem Einsatz innovativer Medizintechnik enorm ist, und dass sie ein breites Spektrum von Wertschöpfungspotenzialen umfassen. Klärungsbedarf besteht jedoch in der Frage, wie dieser Nutzen mit den branchenspezifischen Herausforderungen im Hinblick auf Zulassung/Regulatorik, Datenschutz/Ethik und Finanzierung/Geschäftsmodellen unter den Bedingungen internationalen Wettbewerbs in Einklang gebracht werden kann. Dies gilt besonders für die im Gesundheitswesen notwendige Erklärbarkeit und Transparenz der Ergebnisse, Entscheidungen und Aktionen von KI-gestützten Systemen.
Der Kernbereich der Gesundheitswirtschaft hat mit einer Bruttowertschöpfung von ca. 370 Mrd. Euro (Stand: 2018, BMWi Gesundheitswirtschaft, Fakten und Zahlen, 2019) eine erhebliche ökonomische Bedeutung für den Standort Deutschland. Dies gilt insbesondere für den norddeutschen Wirtschaftsraum Bremen-Hamburg-Schleswig-Holstein, in dem die Gesundheitswirtschaft als eine der zentralen Schlüsselbranchen eine herausragende Rolle spielt. So trägt die industrielle Gesundheitswirtschaft stark zur Wertschöpfung und Beschäftigung in den Bundesländern bei (in Hamburg 29.1%, Schleswig-Holstein 21,2% und Bremen 16.9%). Mit einem Wachstum von jährlich 4,1 Prozent nahm der Sektor in den letzten zehn Jahren deutlich stärker zu als das Bruttoinlandsprodukt (BIP: 2%, BMWi Gesundheitswirtschaft Fakten & Zahlen 2019). Diese starke Ausgangsposition entstand durch jahrzehntelange enge Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, die sich länderübergreifend in der Clusterorganisation „Life Science Nord“ (LSN) widerspiegelt. In den vergangenen Jahren ist daraus ein florierendes Innovations-Ökosystem entstanden, von dem neben den regionalen Hochschulen und Forschungseinrichtungen und großen regional ansässigen Medizintechnik-Herstellern wie Dräger, Philips, Söring oder Olympus auch zahlreiche erfolgreiche Start-Ups profitieren.
Aufgrund dieser günstigen Ausgangslage bietet eine KI-orientierte Ertüchtigung des norddeutschen Gesundheits-Ökosystems in Richtung eines digitalen Ökosystems nicht nur den Beteiligten hervorragende Chancen, mit angemessenem Aufwand ihre Stellung am Weltmarkt auszubauen und neue Teilgebiete zu erschließen, sondern sie kann auch beispielgebend für andere Regionen wirken.
Was ist ein digitales Ökosystem?
Diese Frage wurde kürzlich (Juni 2020) von einer Gruppe von Kolleg*innen des Fraunhofer IESE in einem Artikel in Informatik Aktuell sehr kompetent beantwortet. Wir wollen hier nur die wesentlichen Aussagen wiedergeben und verweisen bei tiergehendem Interesse auf den sehr gut geschriebenen Artikel.
Ein digitales Ökosystem ist ein sozio-technisches System (also nicht nur technisch!), in dem Anbieter und Nachfrager für bestimmte Leistungen auf einer digitalen Plattformzusammentreffen, um einen Leitungsaustausch vorzunehmen. Charakteristisch dabei ist die Nicht-Exklusivität, d.h., Leistungsanbieter können ihre Angebote auch anderswo machen und Leistungsnutzer können anderswo Lösungen suchen. Ziel und Aufgabe des Plattform-Initiators/-Betreibers ist es, möglichst solche Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Nutzung der Plattform für alle höchst attraktiv machen. Das vermutlich bekannteste Beispiel für eine solche Plattform ist Amazon. Hier wird die Plattform exklusiv von einem großen Konzern betrieben, aber es ist durchaus möglich, dass es mehrere Plattform-Initiatoren gibt.
Um seine Aufgabe zu erfülle, betreibt der Plattforminitiator einen oder mehrere Plattform-Dienste, die von den anderen Teilnehmern genutzt werden können. Qualität und Leistungsumfang dieser Services beeinflusst maßgeblich, wie attraktiv die Plattform für die Nutzer und damit für das Entstehen eines Ökosystems ist.
Die Lübecker KI-Med-Plattform
In Lübeck enstand mit dem von der IHK Lübeck initiierten "Arbeitskreis Künstliche Intelligenz" schon früh eine erste Keimzelle für regionweite Kommunikation und Kollaboration. Daraus entwickelte sich schnell das Thema "KI und Gesundheit" als zentraler Ansatzpunkt für einen Erfolg verprechenden KI-Einsatz in der Region. Die Rolle des Initiators und Plattformbetreibers innerhalb des KI-Med-Ökosystems nimmt die Universität zu Lübeck über ihr Zentrum für Künstliche Intelligenz Lübeck (ZKIL) und in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI, Außenstelle Lübeck), der UniTranmsferKlinik GmbH sowie weiteren Partnern aus dem KI-SIGS-Konsortium ein. Die aktuelle (und sich in ständiger Entwicklung befindliche) Plattformarchitektur sieht wie folgt aus:
- Die Hardware-Plattform, bestehend aus zurzeit zwei größeren KI-Spezialrechnern von Nvidia sowie eine größeren Zahl von Robotiksystemen und einer Reihe von All-Purpose-Servern, wurde auf der Basis des BMBF-Projekts KI-Lab entwickelt. Sie stellt die technologische Grundlage der Plattform dar.
- Medizinische Daten, sozusagen der wichtigste Rohstoff des KI-Med-Ökosystems, wird vor allem über HiGHmed zur Verfügung gestellt, einem der großen Projekte der deutschen Medizininformatik-Initiative, an dem sowohl die Universität zu Lübeck wie auch das UKSH beteiligt sind.
- Die zentrale Schnittstelle für alle Plattformnutzer stellt jedoch die in KI-SIGS entwickelte Dienstplattform zur Verfügung, die aktuell vier wesentliche Teildienste zur Verfügung stellt: 1.) eine technische Plattform, die Zugriff auf Daten, vortrainierte Modelle. Algorithmen etc. zur Verfügung stellt; 2.) eine regulatorische Plattform, die insbeosndere KMUs bei den gerade durch KI noch komplexer gewordenen Fragestellungen der Zulassung medizintechnischer Geräte unterstützt; 3.) eine "ethische" Plattform, die Beratunsgdienstleistungen zu ethischen Fragen der KI-Nutzung verfügbar macht; und 4.) eine Kommunikations-/Kollaborationsplattform zum allgemeinen Austausch zwischen den Migliedern des Ökosystems.
Auf der Plattform laufen bereits heute zehn größere Anwendungsprojekte, die einerseits selbst produktiv neue Lösungen in Zusammenarbeit mehrerer Partner und entwickeln und dadurch andererseist die Möglichkeiten der Plattform demonstrieren. Ergänzt werden die Aktivitäten durch die Verankerung zweier größerer KI-Transferprojekte in Lübeck, mit denen KI-Wissen und -Lösungen in die wirtschaftliche Anwendung gebracht werden sollen:
- Das Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Kiel setzt insbesondere auf Workshop-Veranstaltungen im Sinne von Weiterbildung der Mitarbeiter der schleswig-holsteinischen Unternehmen, wobei KI nur eines von vielen Industrie-4.0-Themen ist.
- Der im Juli 2020 gestartete schleswig-holsteinische KI-Transfer-Hub setzt auf thematische Schwerpunkte, die für die Region relevant sind, geht aber deutlich stärker projektbezogen vor und adressiert konkrete Fragestellungen der Unternehmen.
Die nächsten Schritte
Es wird nun insbesondere darauf ankommen, erstens die Plattform weiter auszubauen und damit die Attraktivität weiter zu steigern und zweitens weitere Nutzer des Ökosystems zu gewinnen. Einen Überblick über den Endausbau des Ökosystems vermittelt die folgende Abbildung:
Die Universität zu Lübeck wird mit Hilfe weiterer Fördermittel, die kurz vor der Bewilligung stehen, diesen Ausbau vorantreiben. Konkret wird es eine Erweiterung der Hardware-Plattform geben. Außerdem werden in einer Reihe von Projekten Vorlagen für die typische Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Partnern in unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitswesens erarbeitet, um anschließend neue Projekte schneller produktiv werden zu lassen. Mehrere Demonstratoren sollen zeigen, wie die Plattform genutzt werden kann. Und auch neue Einrichtungen zur Unterstützung von KI-Gründern wird es geben. Schließlich werden wir eine Ökosystem-Managerin bekommen, die sich Vollzeit um die weitere Entwicklung kümmern wird.
Die Autoren
Prof. Dr. Stefan Fischer, Vizepräsident der Universität zu Lübeck
Prof. Dr. Thomas Martinetz, Sprecher des Zentrums für Künstliche Intelligenz Lübeck
Prof. Dr. Martin Leucker, Geschäftsführer der UniTransferKlinik Lübeck GmbH
Raimund Mildner, strategischer Berater der UniTranferKlinik Lübeck GmbH
Eine Plattform und das durch sie unterstützte Ökosystem kann aber nur funktionieren, wenn es mehr und mehr Beteiligte gibt. Wir rufen deshalb explizit zur Teilnahme auf! Bei Interesse an weiteren Informationen oder konkreten Wünschen, Ideen oder Vorschlägen kontaktieren Sie bitte die genannten Autoren.
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