Die Digitalisierung der Vergangenheit: Landschaftswandelkarten
Woher komme ich? Wie haben meine Großeltern gelebt? Was hat sich in ein, zwei oder gar drei Jahrhunderten in meiner Heimat verändert?
Das alles sind Fragen, die sich jeder von uns im Leben einmal gestellt hat. Die Antworten darauf können sehr unterschiedlich sein und die Möglichkeiten, Informationen über die Vergangenheit zu bekommen noch viel diverser. Wir alle kennen die Nachrichten über sensationelle archäologische Funde, die uns ein Fenster in diese Vergangenheit ermöglichen oder Historiker, die Schriften finden, die uns manchmal Einblicke in Gedanken und Wünsche der damals lebenden Menschen gaben. Und natürlich kann unsere jüngere Vergangenheit durch unsere Großeltern und ihre Erinnerungen beleuchtet werden.
In all der vergangenen Zeit hat sich nicht nur die Lebensweise der Menschen verändert, sondern auch ihre Umwelt, ihre Umgebung. So kennen unsere Großväter im Rheinland noch eine Zeit, in der es keine Bergbauhalden gegeben hat, die für die Bevölkerung heute oft als Naherholungsgebiete alltäglich sind. Doch wie kann man diese Veränderung der prägenden Landschaftselemente „sichtbar“ machen, ganz außerhalb von Artefakten oder von Künstlern erstellten Bildern, sodass wir auswertbare Daten bekommen, mit denen wir einen Landschaftswandel festhalten können? Digitale Kartenwerke aus vergangenen Zeiten ermöglichen uns, solche Einblicke zu erhalten.
Step by Step zur digitalen, historischen Karte
Bisher sind die meisten historischen Kartenwerke zwar als digitale Bilder vorhanden, aber die eigentlichen Veränderungen können statistisch nicht ausgewertet werden. Das hat verschiedenen Gründe. Auf der einen Seiteliegen die Kartenwerke tatsächlich nur als einfache Bilder vor, sind also manchmal nicht einmal verortet und auf der anderen Seite sind die darin dargestellten Elemente möglicherweise nicht sofort zwischen verschiedenen Zeitabschnitten vergleichbar.
Um also beispielsweise kulturelle Prozesse im Wandel der Zeiten darstellen zu können, müssen die Inhalte dieser Karten in eine einheitliche Form überführt werden. Es müssen also alle zu erfassenden Elemente ihrer Nutzung zugeordnet werden. Durch die Verwendung eines einheitlichen Klassifikationssystems wird gewährleistet, in Zukunft auch verschiedene Projekte miteinander verbinden und Daten großflächig auszuwerten zu können. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Inhalte der Karten im Hinblick auf die Differenziertheit der Nutzung, wird besonders darauf geachtet, in den alten Kartenwerken möglichst alle dargestellten Inhalte aufzunehmen.
Dabei haben wir festgestellt, dass es immer wieder Anpassung an dem Klassifikationssystem geben muss. So sind die Bedingungen auf Eiderstedt, wo der Deichbau und die Landgewinnung eine große Rolle gespielt haben, ganz andere als im Rheinland wo der Bergbau das prägende Landschaftselement ist.
Das System ist so aufgebaut, dass neue Objekte Problemlos mit eingearbeitet werden können und da direkt zu Beginn versucht wird alle Elemente in einem Gebiet zu berücksichtigen, bleibt die Vergleichbarkeit erhalten.
Da heute, teilweise wesentlich detailliertere Informationen zur Lage der Objekte vorliegen, werden die heute aufgenommenen Strukturen auf die Inhalte der historischen Karten übertragen.
Selbstverständlich muss man Kartengrundlagen immer mit einem kritischen Auge betrachten. Der Erfassungsmaßstab in früheren Zeiten ist ein ganz anderer als heute und manchmal kommt es vor, dass bestimmte Inhalte stark von der Wirklichkeit abweichen. So gibt es in den Karten von Schwansen in den 1950er keinen Eintrag des militärischen Flugplatzes Jagel, wir wissen allerdings sicher, dass der Fliegerhorst in 1916 gegründet worden ist. Solche Details können oft nur durch Hintergrundwissen berücksichtigt werden und fließen deswegen oft erst später in die digitalen Karten ein.
Wie präsentiere ich die Ergebnisse?
Bereits in den 1990er Jahren wurden Kulturlandschaftswandelkarten als Mittel zur Analyse historischer und moderner Raumstrukturen genutzt. Seit dieser Zeit haben sich die technischen Darstellungsmöglichkeiten stark verändert, sodass wir Daten auf unterschiedliche Arten darstellen können.
Auf der einen Seite gibt es den „Profi“-Nutzer, der aufgrund der angewandten Methodik zu verschiedenen Fragestellungen statistische Auswertungen erhalten kann. Da nach der Digitalisierung der historischen Karten für jede Fläche eine Information und auch ein Flächeninhalt vorliegt, ist es nicht mehr schwer Vergleiche zwischen den verschiedenen Zeiten anzustellen.
Auf der anderen Seite gibt es allerdings auch den interessierten Bürger, der sich vielleicht einfach nur über seine Umgebung informieren möchte. Sehen möchte, wie beispielsweise die Stadtgebiete zu- oder abgenommen haben. Oder aber wie viele Großsteingräber in den letzten einhundertfünfzig Jahren in der Umgebung verschwunden sind.
Um eine möglichst einfache und übersichtliche Auswertungsmöglichkeit zu bieten haben wir onmapsDataVis entwickelt. Das ist ein Werkzeug mit dem die Ergebnisse auf einfache Art in der Karte dargestellt werden können und die verschiedenen Zeitscheiben mittels Zeitstrahl übereinander gelegt werden können. Zusätzlich gibt es Statistiken über jeden Bildausschnitt, sodass Veränderungen gleich, einfach und übersichtlich, sichtbar gemacht werden können.
Welche Anwendungsgebiete gibt es?
Die Anwendungsgebiete für Landschaftswandelkarten können sehr vielfältig sein. Naheliegend ist beispielsweise eine direkte Nutzung durch die Archäologie, da Orte sichtbar gemacht werden können, an denen vermutlich keine Ausgrabungen mehr durchgeführt werden müssen, da alles auf unwiderrufliche Art zerstört worden ist, zum Beispiel durch Kiesgruben.
Im Umweltbereich könnte der Verlust durch Wiesen und Wälder deutlich gemacht werden. Es ist sogar möglich, in manchen Bereichen zu sehen, wozu Entwässerungsmaßnahmen geführt haben und wie weit die Moorlandschaft zurückgegangen ist.
Für uns alle in Schleswig-Holstein ist die allgegenwärtige Knicklandschaft ein völlig normaler Teil unseres Lebens, aber ursprünglich gab es dieses Landschaftselement so, wie wir es heute kennen, nicht. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, können auch in diesem Bereich Veränderung oder Persistenz herausgearbeitet werden.
Denkt man weiter in die Zukunft, wäre die Nutzung eines solchen Tools und dieser Methodik auf für Fragestellungen denkbar, bei denen aktuelle Daten verwendet werden und nur wenige Jahre miteinander verglichen werden.
Datengrundlage
Kulturlandschaftswandelkarten des ©Archäologischen Landesamtes SH.
Auf Basis der ©ATKIS® Topographische Geobasisdaten. Herausgegeben vom Landesamt für Vermessung und Geoinformation Schleswig-Holstein.
Mehr Informationen zu DataVis und Landschaftswandelkarten: https://landschaftswandelkarten.de/
Die Autorin
Janina Meesenburg ist Mitarbeiterin der geoGLIS oHg im Bereich Geodaten- und Projektmanagement und betreut viele Projekte in unterschiedlichsten Bereichen. In ihrem Studium der Prähistorischen Archäologie, Informatik und Geologie kam sie bereits früh mit interdisziplinärem Arbeiten in Kontakt, sodass sie dieses Wissen heute in ihrer Firma einsetzt. Kultur- bzw. landschaftswandelkarten liegen ihr als modernes Fenster in die Vergangenheit besonders am Herzen.
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